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Musik André Heller singt wieder

Diesen Kapriolendandy braucht die Welt

Redakteur Feuilleton
Parkgestalter, Erfinder verwunschener Geschichten, Liedermacher: André Heller Parkgestalter, Erfinder verwunschener Geschichten, Liedermacher: André Heller
Parkgestalter, Erfinder verwunschener Geschichten, Liedermacher: André Heller
Quelle: Suzy Stöckl
Vor dreißig Jahren hat sich der Multikünstler André Heller vom Liedersingen und von der Bühne zurückgezogen. Jetzt ist er wieder da mit neuen Liedern. „Spätes Leuchten“ heißt das Album. Wir haben es nötig.

Er hatte ja Irrlicht werden wollen, singt er, „Taugenichts und freier Hundling, Schattenboxer, Glücksmatrose oder Kapriolendandy“. Das war der Tag, an dem Otis Redding starb, singt André Heller. 20 war er an diesem Dezembertag.

Und ohne ihn, den Urheber der Welthymne „Try a little Tenderness“, singt Heller, würde das alles vielleicht keinen Spaß mehr machen, wäre es vielleicht unmöglich, all die Wunder, also Glücksmatrose zu werden beispielsweise, zu erreichen. Ist er dann doch alles irgendwie geworden, der Heller.

Ein Irrlicht vor allem und ein Kapriolendandy. Kulturwirbelmaschine und notorischer Wunderkammeranleger, Zirkusimpresario und Puppentheaterbesitzer, Parkgestalter, wohnhaft in der Wüste vor Marrakesch, inmitten eines Gartenparadieses, das er sich selbst und der Welt erfunden hat.

Es ist ein tot geglaubter Park, in den Heller einen jetzt entführt. „Die Wiener Judenkinder“ heißt das Lied über Otis Redding und die Zärtlichkeit, mit der man die Welt retten kann. „Spätes Leuchten“ das Liederalbum.

Tot geglaubt war der Liedermacher André Heller. So tot geglaubt, hat er mal erzählt, dass er seinem Sohn, der inzwischen ein ziemlich erfolgreicher Rapper ist, irgendwann erklären musste, dass sein Vater nicht nur eine Zentralachse der österreichischen Popkultur war und Mitgründer des Radiosenders Ö3. Sondern, dass er in den 80ern mal ganze Stadien gefüllt hat.

„Erhebet euch, Geliebte“ hat er gesungen, als sanfte, sinfonische Gegenhymne zu Konstantin Weckers Friedensbewegungskampfsong „Sage nein“. Und Millionen von Alben verkaufte er voller Lieder, die wie Wunderkammern waren und verwunschen und engagiert und eigen.

Er hat es Mitte der 80er aufgegeben, das Liederschreiben, das öffentliche Singen. Weil ihm immer irgendwas dazwischenkommt und er immer irgendwie weiter irrlichtern muss. Vor allem aber, weil er es nicht mehr ausgehalten hat, weil es ihn – der keine Auseinandersetzung, keinen Kulturkampf scheute, sich aber dopen musste vor den Auftritten – vielleicht umgebracht hätte.

Hat man vermisst

Und nun geht das wieder los, als hätte es nie ein Ende gehabt. Ein Akkordeon rollt einen Teppich aus, ein Klavier tupft darauf herum und eine Gitarre. Und dann sprechgesangt der Heller. Und man merkt gleich, dass man da was vermisst hat.

Die Stimme sehnsüchtelt einen Text an den Himmel über der grauen Welt, der so seltsam ist, so eigen. Der aus ganz viel 19. Jahrhundert, aus ganz viel Kulturgeschichte gedrechselt ist, ganz viel mit sich herumschleppt, ohne es schwer zu nehmen. Und der – wie alle andern Texte von „Spätes Leuchten“ – immer auf der guten Seite der Melancholie herumtanzt, anhält, bevor er in die Überzuckerung, den Kitsch kippt.

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Worte werden abgeschmeckt. Niemand kann Konsonanten so schön singen, niemand das Wort „verwunschen“. Das kommt öfter vor, das Wort. Auch Wunder gibt es wieder viele.

Von seiner Mutter singt Heller, der Hundertjährigen, der er 1983 auf seinem letzten Studioalbum „Stimmenhören“ das liebevollste Liedporträt hinmalte, das vielleicht je einer Mutter gemalt wurde. Und für die es jetzt ans Sterben geht.

„Urgrund meiner Schmerzen“

„Mutter sagt“ heißt das Lied. Erst scheint ihm (und ihr) die Zeit davonzulaufen. Dann wiegt sich die „greise Tochter einer lasterhaften Frau“ in sich selbst und tanzt ganz langsam und berichtet vom „Urgrund meiner Schmerzen – in mir schlägt sein Rad der Pfau“.

Und von der Begegnung mit dem Herrn Teufel singt Heller, der ihm 1977 seine Seele verkaufen wollte, angetan mit einem elektrischen Elvis-Kostüm und einer Krone aus künstlichem Klee. Von Plätzen voller Geschichte singt er, dem Markusplatz, dem Heldenplatz, dem Henkersplatz von Marrakesch.Von der Liebe singt er auch.

Hymnenbereit ist jedes Lied. Klingt nach Dylan manchmal, swingt und bluest und klezmert. Gelassener ist das geworden. Musikalisch kostbar verpackt geblieben. Und hinter jeder Biegung lauert ein neues, na ja, Wunder.

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Gibt einem seltsamerweise ein bisschen Vertrauen wieder. Vertrauen in die Kraft der Kultur, der Zärtlichkeit, in das Abendland und das Wunder, das der Mensch ist. Das braucht es gerade sehr.

Eine Tournee wird es nicht geben. Mehr Lieder in Zukunft vielleicht auch nicht. Das wäre schade. Aber wer weiß, was in 30 Jahren ist. Seine Mutter wurde 104 Jahre alt.

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